Nachbildung industrieller Schmelzprozesse im Labormaßstab zur Prozessoptimierung

Autoren: E. Koppensteiner, T. Petkov; Österreichisches Gießerei-Institut, Parkstraße 21, 8700 Leoben, Österreich

Kurzfassung

Bei Veränderungen in bestehenden Schmelzprozessen und speziell beim Umstieg von fossil befeuerten Schmelzaggregaten auf das Elektroschmelzen bewirken die geänderten metallurgischen Prozesse veränderte lokale Gefügeausprägungen. Deshalb sollten Änderungen in Gießereiprozessen im Vorfeld genau analysiert und vorbereitet werden, um hohe Ausschussanteile, Unterbrechungen von Lieferketten sowie ökonomische und ökologische Schäden in der Serienproduktion zu vermeiden. Im Rahmen dieser Arbeit werden verschiedene metallurgische Prozesse im Kleinmaßstab am ÖGI mit entsprechenden Prüfeinrichtungen nachgestellt und analysiert, damit diese dann im realen Prozess rasch und effizient umgesetzt werden können.
Damit soll ein wesentlicher Beitrag zur nachhaltigen Reduktion von schädlichen Treibhausgasen bei der Erzeugung von Gussteilen geleistet werden. Dies erfolgt durch die Optimierung von bestehenden Schmelzprozessen in Gießereien, die bereits Induktionsöfen im Schmelzbetrieb betreiben und mit der prozesssicheren Transformation von fossil beheizten Kupolöfen auf das wesentlich umweltfreundlichere Elektroschmelzen.

Einleitung

Der Druck zur Reduktion des CO2-Ausstoßes in Gießereien wird durch die Gesetzgebung, durch Kundenforderungen sowie durch wirtschaftliche- und gesellschaftliche Aspekte laufend erhöht. Die im Rahmen des von der FFG geförderten Projektes „CONCAL“ durchgeführten Untersuchungen sollen einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung von bestehenden Schmelzprozessen leisten und die notwendigen umfangreicheren Transformationsprozesse unterstützen. Die größten CO2-Emissionen entstehen dabei im Schmelzbetrieb. Hier wird zwar schon lange Schrott als Einsatzstoff zu 100 % nachhaltig wiederverwertet, doch entstehen beim Prozessschritt „Flüssigeisenherstellung“ die höchsten Umweltbelastungen im gesamten Fertigungsprozess. Dieser Effekt ist besonders signifikant, wenn zum Erschmelzen der Einsatzstoffe koksbefeuerte Aggregate, wie der Kupolofen eingesetzt werden. Dieser bestens etablierte Prozess bietet viele Vorteile bezüglich der verwendbaren Schrottsorten, hat aber eine deutlich schlechtere Umweltbilanz als z. B. ein Mittelfrequenz-Induktionsofen, der mit grünem ÖKO-Strom betrieben werden kann. In Bild 1 sind die wesentlichen Unterschiede der beiden Schmelzprozesse zusammengefasst.

Bild 1: Unterschiede Kupolofen- und Induktionsofenschmelzprozess

Bei Umstellungen der Prozessroute vom Kupolofen auf Elektroschmelzen sind die ablaufenden metallurgischen Prozesse in den beiden Schmelzaggregaten jedoch grundlegend verschieden. Zusätzlich werden die lokalen Gefügeausbildungen und damit die Eigenschaften von Gusslegierungen neben dem Herstellprozess und den damit verbundenen spezifischen Parametern vor allem von Spurenelementen, die sich im recycelten Schrott befinden und die sich immer stärker anreichern, beeinflusst. Ein aktuell sehr großes Problem in der gesamten Eisen- und Stahlindustrie ist die Verfügbarkeit der für den jeweiligen Anwendungsfall entsprechenden Schrottsorten und deren aktueller Marktpreis. Deshalb müssen gravierende Änderungen in den bestehenden Schmelzprozessen vor Umstellungen genau analysiert und vorbereitet werden, um hohe Ausschussanteile, Unterbrechungen von Lieferketten sowie ökonomische und ökologische Schäden zu vermeiden. Mit diesem Projekt wird ein wesentlicher Beitrag zu diesen wichtigen, umweltrelevanten Veränderungsprozessen und somit zur Erreichung der Ziele aus dem European Green Deal und zur Absicherung des Produktions- und Wirtschaftsstandortes Österreich bzw. Europa geleistet.

 

Vorgehen

Im Projekt werden die 3 Eisengusswerkstoffe, Gusseisen mit Lamellengraphit, Temperguss und Gusseisen mit Kugelgraphit ausführlich untersucht. Für jeden dieser Werkstoffe wird eine eigene Prüfvorrichtung zur Analyse der wandstärkenabhängigen Bauteileigenschaften benötigt. Die Auslegung und Anpassung dieser Versuchsprüfeinrichtungen im Labormaßstab auf die realen Gegebenheiten und Prozesse in den Gießereien ist zur Schaffung einer gesicherten Baseline für die weiterführenden Versuche von großer Bedeutung.
Für Gusseisen mit Lamellengraphit wird eine aus 3D-gedruckten Kernpaketen zusammengesetzte Form zum Abguss von Stufenkeilen mit unterschiedlichen Wandstärken verwendet, für Temperguss eine eigens angefertigte Formplatte mit Zugstäben und Stufenkeilen mit unterschiedlichen Wanddicken und für Gusseisen mit Kugelgraphit eine Kokille mit unterschiedlichen Wandstärken. Damit wird der Schleudergießprozess eines Projektpartners im Labormaßstab nachgestellt. Zusätzlich müssen die so hergestellten Prüfkörper aus Gusseisen mit Kugelgraphit noch zur Umwandlung der bei der raschen Abkühlung im Schleudergussverfahren entstehenden Karbide wärmebehandelt werden. Der in einer großen, kontinuierlich beschickten Anlage ablaufende Wärmebehandlungsprozess musste wiederum auf den Labormaßstab, mit einem kleinen chargenweisen beschickten Kammerofen, skaliert werden. In Bild 2 sind die Prüfeinrichtungen für die 3 unterschiedlichen Eisengusswerkstoffe dargestellt.

Bild 2: Verwendete Prüfeinrichtungen

Nach der Anfertigung der erforderlichen Prüfeinrichtungen erfolgt der Abguss der Baseline in den Gießereien unter realen Prozessbedingungen. Die Bauteileigenschaften der Prüfkörper werden mit den lokalen Bauteileigenschaften in den realen Gussteilen verglichen. Wenn die Ergebnisse miteinander übereinstimmen, werden im nächsten Schritt die ersten Versuche am ÖGI mit den elektrischen Schmelzaggregaten im Labormaßstab durchgeführt. Dabei werden zuerst die Ergebnisse dieser Versuche im Labormaßstab mit den Ergebnissen der Baselineversuche verglichen.
Danach erfolgt die Variation von einzelnen Prozessparametern bezüglich der Gattierung und der metallurgischenProzesse. Von jedem einzelnen Abguss werden chemische Analysen, metallographische Gefügeanalysen und Festigkeitsanalysen durchgeführt und miteinander verglichen. In weiterer Folge werden die Prozesse optimiert und deren Auswirkung auf die Herstellkosten der erzeugten Gussteile bewertet. In Bild 3 sind die vielfältigen Themenstellungen bei Änderungen im Schmelzprozess ersichtlich.

Bild 3: Themenstellungen bei Änderungen im Schmelzprozess

Der oben beschriebene Ablauf lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Anfertigung von geeigneten Prüfeinrichtungen
Abguss der Baseline unter realen Prozessbedingungen in Gießereien zum Vergleich der Eigenschaften
Nachstellung der Baseline im Labormaßstab am ÖGI
Optimierung von Einsatzstoffen und der Metallurgie am ÖGI
Qualitäts- und Kostenoptimierung

Nachstellung realer Prozesse

Gusseisen mit Kugelgraphit

Der industrielle Prozess zu Herstellung von geschleuderten Rohren wird mit einer kleinen Kokille auf den Labormaßstab skaliert. Dabei hat der Prüfkörper im Mitten- und Randbereich die gleichen Wandstärken wie ein geschleudertes Rohr mit bis zu 5 m Länge im Muffen- und Schaftbereich, siehe Bild 4.

Bild 4: Kokille und Prüfkörper für Gusseisen mit Kugelgraphit

Zur Abbildung der Baseline beim Projektpartner wurde das im Kupolofen erschmolzene, behandelte und geimpfte Eisen an der Eisenrinne vor der Schleudermaschine entnommen und in die kleine Kokille gegossen. Damit konnten die Erstarrungs- und Abkühlbedingungen vom realen Schleuderprozess im Kleinmaßstab in einer Kokille nachgestellt werden, siehe Bild 5.

Bild 5: Abguss Baseline Gusseisen mit Kugelgraphit beim Projektpartner

Durch die rasche Abkühlung des Eisens beim Schleudergießen und in der kleinen Kokille bilden sich eutektische Karbide im Matrixgefüge aus. Diese werden im industriellen Herstellprozess durch einen entsprechenden Wärmebehandlungsprozess in Durchlauföfen wieder aufgelöst. Für die abgegossenen Prüfk.rper erfolgt die Wärmebehandlung in einem kleinen Kammerofen am ÖGI. Zusätzlich werden noch vergleichende Untersuchungen zur Längenänderung durch die Wärmebehandlung durchgeführt.
Im Anschluss an die Baselineversuche erfolgten umfangreiche Versuchsreihen mit im Mittelfrequenz-Induktionsofen am ÖGI erschmolzenen Eisen, siehe Bild 6.

Bild 6: Schmelzen und Abguss von Gusseisen mit Kugelgraphit am ÖGI

Dabei wurden und werden verschiedene Einsatzstoffe und metallurgische Behandlungen miteinander kombiniert und deren Auswirkungen auf die lokalen Gefügeeigenschaften analysiert. In Bild 7 sind exemplarisch die Auswirkungen unterschiedlicher Gießtemperaturen und Impfmittelzugaben im Vergleich mit den Baselineversuchen bezüglich der lokalen Härte dargestellt.

Bild 7: Härtewerte verschiedener Versuchsabgüsse mit Gusseisen mit Kugelgraphit

Temperguss

Für den Gusseisenwerkstoff Temperguss werden Zugstäbe und Stufenkeile als Prüfkörper verwendet. Diese werden in bentonitgebundenen Sandformen abgegossen. Dafür wurde eine eigene Formeinrichtung angefertigt. Die Wärmebehandlung zur Herstellung von weißem Temperguss erfolgt immer in oxidierender Ofenatmosphäre in den Durchlauföfen beim Projektpartner unter großtechnischen Herstellbedingungen. Bild 8 zeigt den Abguss der Baseline und die abgegossenen Zugstäbe mit den Stufenkeilen.

Bild 8: Abguss Baseline Temperguss beim Projektpartner

Nach den grundlegenden Versuchen zum Abguss der Baseline mit im Kupolofen erschmolzenen Eisen wurden am ÖGI Versuchsabgüsse zur Anpassung des Mangan-Schwefelverhältnisses auf die für das Elektroschmelzen üblichen Schwefelwerte durchgeführt, siehe Bild 9.

Bild 9: Versuchsabguss Temperguss am ÖGI

Das Matrixgefüge von weißem Temperguss zeigt unterschiedliche Gefügeausprägungen über den Querschnitt. Die Randzone ist entkohlt und somit ferritisch, daran schließt ein Perlitring an. Im inneren Bereich befinden sich Temperkohleflocken in einer ferritisch – perlitischen Gefügematrix. Für die Auswertung und den Vergleich der metallographischen Gefügeparameter wurde ein einheitlicher Standard erarbeitet, um die einzelnen Versuchsreihen miteinander vergleichen zu können. Dabei wird die Dicke der entkohlten Randschicht und des Perlitringes an 4 Stellen am Umfang ermittelt. Die Temperkohleflockendichte und das Ferrit-Perlitverhältnis werden in einem rechteckigen Querschnitt in einem eingeschriebenen Kreis im Anschluss an den Perlitring ermittelt, siehe Bild 10.

Bild 10: Metallographische Auswertung Temperguss

Eine weitere Besonderheit beim Temperguss ist, dass wegen der unterschiedlichen Gefügeausprägungen über den Querschnitt unbearbeitete Zugstäbe geprüft werden. In Bild 11 ist als Beispiel aus den umfangreichen Untersuchungen der Einfluss von unterschiedlichen Mangangehalten und Mangan-Schwefelverhältnissen auf die Mikrostruktur über den Querschnitt ersichtlich, wie die Veränderung der Dicke der entkohlten Randschicht und der Perlitanteil in der Kernzone.

Bild 11: Auswirkung unterschiedlicher Mangangehalte auf die Gefügeausprägungen

Gusseisen mit Lamellengraphit

Als Referenz für Bremsscheiben aus Gusseisen mit Lamellengraphit wurde ein Stufenkeil mit entsprechenden Wandstärken gewählt. Die Formen für die verwendeten Prüfkörper werden mit dem 3D-Sanddrucker am ÖGI hergestellt. Dies hat den Vorteil, dass die benötigten Formen einfach hergestellt werden können, Anpassungen jederzeit möglich sind, die Formen eine besonders gute Haltbarkeit aufweisen und daher über weite Strecken ohne Qualitätsverlust transportiert werden können. Der Abguss der Baseline erfolgte wieder unter realen Prozessbedingungen mit im Kupolofen erschmolzenem Eisen, siehe Bild 12.

Bild 12: Abguss Baseline Gusseisen mit Lamellengraphit

Im Anschluss an den Abguss der Baseline wurden am ÖGI mit dem Elektroschmelzverfahren unterschiedliche Impfmittelmengen zugegeben, um die gleichen Ergebnisse, bezüglich Festigkeit und Mikrostruktur, wie bei den Baselineversuchen zu erzielen. In Bild 13 ist ein Versuchsabguss am ÖGI dargestellt und in Bild 14 beispielhaft der Einfluss unterschiedlicher Impfmittelzugaben beim Kupolofen- und Elektroschmelzen auf die ermittelten Härtewerte in den jeweiligen Querschnitten der Stufenkeile.

Bild 13: Abguss Prüfkörper Gusseisen mit Lamellengraphit am ÖGI

Bild 14: Einfluss unterschiedlicher Impfmittelzugaben beim Kupolofen- und Elektroschmelzen

Zusammenfassung und Fazit

Mit dem beschriebenen Vorgehen können industrielle Schmelzprozesse im Labormaßstab nachgebildet werden. Damit können Verbesserungspotentiale bezüglich der etablierten Prozesse unabhängig von den Gegebenheiten in den jeweiligen Gießereien im Labormaßstab evaluiert und validiert werden. Dies ist von ganz besonderer Bedeutung, wenn tiefgreifende Veränderungsprozesse nötig sind, wie zum Beispiel die Umstellung vom koksbefeuerten Kupolofenprozess auf das wesentlich umweltfreundlichere Elektroschmelzen im Mittelfrequenz-Induktionsofen. Damit können die Auswirkungen von Änderungen im Schmelzprozess auf die lokalen Gefügeeigenschaften in den repräsentativen Gussteilen vorab verifiziert und die entsprechenden Korrekturmaßnahmen prozesssicher bei der Umstellung in den Gießereien in kurzer Zeit umgesetzt werden. Produktionsausfälle und Unterbrechungen von Lieferketten, während der Umstellphase, werden dadurch vermieden. Außerdem können die technischen und wirtschaftlichen Risken deutlich gemindert und in Verbindung mit der wirtschaftlichen und ökologischen Optimierung ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung des Produktionsstandortes geleistet werden. Die faktenbasierte Basis für unternehmerische Entscheidungen zur Neuausrichtung von Schmelzbetrieben, unter ökologischen Gesichtspunkten, wird dadurch geschaffen.

Danksagung

Das Projekt „CONCAL“ wird von der FFG im Rahmen der Förderschiene „Collective Research“ mit der Projektnummer 915484 unter der Beteiligung von Industriepartnern gefördert, wofür herzlich gedankt wird.