Die Geschichte zeigt uns, dass schwierige Zeiten meist länger andauern als erwartet, und dass einzelne Krisen aufgrund einer diesen innewohnenden Dynamik sehr rasch zu multiplen Krisen führen und sich verfestigen. Berichteten wir vor einem Jahr an dieser Stelle von hohen Energie- und Materialkosten, von einem nicht enden wollenden Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel, von signifikant steigenden Personalkosten, die die Gießereiindustrie schwer belasten, so hat sich über die vergangenen Monate an diesem Befund nichts geändert. Im Gegenteil – mit den in Europa im Vergleich zu anderen wirtschaftlich starken Regionen der Welt, hohen Inflationsraten und den in Österreich im Vergleich zum Rest Europas nochmals höheren Inflationsraten, steigerte sich die Belastungssituation für die österreichische Wirtschaft generell und für die Gießereiindustrie im Speziellen. Nach dem Energiepreis-Peak im Sommer und Herbst vergangenen Jahres pendelten sich die Energiepreise im 1. Halbjahr 2023 zwar wieder auf einem tieferen Niveau ein. Die Energiepreise verbleiben in Österreich dennoch auf einem signifikant höheren Niveau im Vergleich zu anderen Regionen der Welt und Europas. Die Inflationsraten verteuerten lokal den Faktor Arbeit in den Betrieben und bei Serviceleistungen. Die Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt qualifiziertes Personal zu rekrutieren, blieben bestehen. Letztlich verschlechterte sich die Wettbewerbsfähigkeit der Gießereiindustrie in Österreich (ähnlich wie in Deutschland) abermals. Gewinnmargen sind notwendig, um langfristig in die Zukunft der Unternehmen investieren zu können. Die Verkaufspreise der produzierten Waren orientieren sich am Wettbewerb und der Wohlstand eines Landes hängt an der erbrachten Wertschöpfung. Diese einfachen Mechanismen müssen in einem exportorientierten Land wie Österreich wieder politisch und gesellschaftlich breiter verstanden, beziehungsweise verständlich gemacht werden. Zusätzlich trübten sich die konjunkturellen Aussichten in einigen für die Gießereiindustrie relevanten Branchen wie der Bauindustrie ein. Kurzum – das Umfeld für die Gießereiindustrie bleibt herausfordernd.
Die Geschichte lehrt uns auch, dass Jammern nicht hilft. Die Gießereiindustrie in Österreich hat eine lange Tradition und schon viele schwierige Zeiten erfolgreich bewältigt. Letztlich geht es um die Gestaltungskraft innerhalb der Betriebe und wettbewerbsfähige Lösungen gemeinsam mit der Belegschaft zu erarbeiten. Es geht um das laufende Weiterentwickeln aller betriebsrelevanten und technologischen Prozesse zu erhöhter Effizienz. Und es geht darum, die Innovationskraft in den Unternehmen zu erhalten und bestmöglich auszubauen. Der Prozess des Gießens bleibt im Hinblick auf einen effizienten Ressourceneinsatz, die Rezyklierbarkeit der eingesetzten Stoffe und die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Produktentwicklung ein zukunftsträchtiges Verfahren, welches auch und insbesondere im Hinblick auf den Green Deal einen wertvollen Beitrag leistet, bestehen. Mit dem ÖGI hat die österreichische Gießereiindustrie bereits über viele Jahre einen starken Entwicklungs- und Sparringpartner zur Seite. Im Hinblick auf bürokratische Hürden und mangelnden Pragmatismus, der das europäische und österreichische Wirtschaftssystem immer wieder leidvoll fordert, müssen und werden wir weiterhin stark und engagiert Position für unsere Interessen beziehen. Das aktive Involvieren in die Gestaltung der europäischen BAT-Verordnung in enger Zusammenarbeit zwischen den Spezialisten der WKO und den Gießereibetrieben ist ein starkes Zeugnis davon.
In diesem Sinne wünsche ich allen Gießereibetrieben Österreichs ein erfolgreiches Bewältigen der aktuellen Herausforderungen und freue mich auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.
Mit einem herzlichen Glück Auf für 2023
Ihr Bernhard Dichtl